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Riga – die dunkle Seite der schönen Stadt

Neue Volksbund-Broschüre stellt Gedenkstätten der lettischen Hauptstadt vor, die an die Opfer des Holocaust erinnern

Riga: Hansestadt und Ostseeperle. So wirbt das lettische Fremdenverkehrsamt für seine Hauptstadt, und das zu Recht. Aber: Sie hat auch dunkle Seiten, die eine neue Volksbund-Broschüre beleuchtet. Angeregt hat sie das Deutsche Riga-Komitee, dem der Volksbund seit seiner Gründung vor 20 Jahren angehört.

Es ist eine stark von Geschichte und vom Jugendstil geprägte, lebhafte, moderne Metropole, direkt an der Ostsee gelegen, mit interessanten Museen, schönen Restaurants und netten Menschen. Riga ist eine Reise wert und sollte unbedingt auf die Wunschliste, sobald die Corona-Beschränkungen der Vergangenheit angehören.

Wenn man die Stadt jedoch besucht, sollte man sich auch mit der dunklen Seite ihrer Vergangenheit beschäftigen, die ihr vom nationalsozialistischen Deutschland aufgezwungen wurde. Riga war ein Deportationsort für Jüdinnen und Juden aus dem Deutschen Reich einschließlich Österreich und dem besetzten Böhmen und Mähren. Anfangs wurden die deutschen Jüdinnen und Juden im Rigaer Ghetto untergebracht, in dem durch eine gigantische Mordaktion „Platz geschaffen“ worden war. Später wurden auch die „Reichsjuden“ in Riga ermordet.

Es gibt eine Reihe von Gedenkstätten, die von diesen ungeheuren Mordaktionen Zeugnis ablegen. Die Massenerschießungsplätze Rumbula und Bikernieki, die Konzentrationslager Salaspils und Kaiserwald, das Mahnmal an der Großen Synagoge erinnern an Folter, „Vernichtung durch Arbeit“ sowie Massenmord, der zwischen 1941 und 1944 dort begangen wurde.

Anlass: 80. Jahrestag des "Rigaer Blutsonntags"

Eine neue Broschüre, die der Berliner Politikwissenschaftler Eckart Stratenschulte im Auftrag des Volksbunds erstellt hat, gibt Auskunft über diese und einige weitere Gedenkstätten und verbindet das mit praktischen Hinweisen, die das Auffinden und die Anreise leicht machen. Entstanden ist die vom Auswärtigen Amt geförderte Publikation auf Anregung des Deutschen Riga-Komitees. In diesem haben sich über 60 deutsche Städte zusammengeschlossen, aus denen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger nach Riga deportiert worden waren.

Die Publikation reiht sich ein in mehrere neue Angebote. Dazu werden noch eine Ausstellung und weitere Broschüren gehören. Anlass sind der 80. Jahrestag des „Rigaer Blutsonntags“ am 30. November 1941 und die Einweihung der Gräber- und Gedenkstätte Riga-Bikerniekiwald vor 20 Jahren.

Die Broschüre gibt es auf deutsch und englisch. Sie kann hier aus der Mediathek heruntergeladen oder beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Sonnenallee 1, 34266 Niestetal bzw. per email: bestellungen@volksbund.de bestellt werden.

Ein Land voller Massengräber und kaum jemand, der noch einen Kaddisch sagen kann: Auf den Spuren der Shoah in Lettland

Im September 2024 unternahmen Mitarbeitende der Gedenkstätten sowie Mitglieder des Gedenkstättenvereins und MultiplikatorInnen aus dem Osnabrücker Raum und Berlin vom 26. August bis 1. September 2024 eine Reise nach Litauen und Lettland zu Orten der Shoah im Baltikum. Die Reise erfolgte im Rahmen der Ausstellung "Der Tod ist ständig unter uns. Die Deportationen nach Riga und der Holocaust im deutsch besetzten Lettland", die vom 7. April bis 1. September 2024 in der Gedenkstätte Augustaschacht zu sehen war. Die Autorin war eingeladen worden, an dieser Reise teilzunehmen. Sie stellt uns ihren Bericht für diese Veröffentlichung kostenfrei zur Verfügung.

Am 13. Dezember 1941 wurden 35 Osnabrückerinnen und Osnabrücker gezwungen, in einen Zug zu steigen, der sie in mehrtägiger Fahrt nach Riga in Lettland brachte. Sie selber kannten das Ziel nicht. Ihren Besitz mussten sie zurücklassen. Fünfzig Kilo an Gepäck waren alles, was sie mitnehmen durften, und auch wurde ihnen bei der Ankunft weggenommen, als sie mit Eisenstangen aus dem Zug in die eisige Kälte von minus 30 bis 40 Grad geprügelt wurden. Kleine Kinder und alle, die den weiten Weg in das Ghetto nicht schafften, wurden gleich ermordet. „Keiner von uns hat geglaubt, dass so viel Sadismus möglich war“ – dieser Satz stammt von Ewald Aul, einem der fünf Osnabrücker Überlebenden dieser Deportation, später langjähriger Vorsitzender der Jüdischen Nachkriegsgemeinde in Osnabrück.

Diese Reise war nicht leicht, manche Eindrücke nur schwer zu verkraften Es war eine Reise auf den Spuren von Massenmorden, die auch emotional belastete, und dennoch eine Reise mit vielen wertvollen Begegnungen mit Menschen, die sich dafür engagieren, die Menschen, die diesen Morden zum Opfer fielen, der Vergessenheit zu entreißen, wo das noch möglich ist, und ihnen dadurch ihre Würde zurückzugeben. Unter diesen Ermordeten, für die niemand das Kaddisch, das jüdische Totengebet, sprach, sind 30 Osnabrückerinnen und Osnabrücker. Drei davon, die Geschwister Edith, Carl und Ruth-Hanna Stern, waren noch kleine Kinder.

Am 31. Juli 1941 wurde der Leiter des Reichssicherheitshauptamts, Reinhard Heydrich, von Reichswirtschaftsminister Hermann Göring mit der Vorbereitung der Endlösung der Judenfrage beauftragt, der systematischen Ermordung aller europäischen Juden. Im Oktober 1941 ordnete Hitler die Deportation der jüdischen Bürgerinnen und Bürger aus dem Reichsgebiet an. Sie wurden in Transporten von je 1.000 Personen in die Ghettos Lodz in Polen, und Minsk in Belarus, Kaunas und Vilnius in Litauen und das lettische Riga gebracht.

In den Ländern der ehemaligen Sowjetunion wurde der Holocaust über Jahrzehnte verdrängt und tabuisiert. Neue Verbrechen durch das stalinistische Regime überlagerten die Erinnerung an die deutsche Besatzung und die Verfolgung von jüdischen Menschen und anderen Bevölkerungsgruppen. Für die Sowjetunion gab es keine jüdischen Opfer und damit auch keinen Holocaust. Die Ermordeten waren alle Sowjetbürgerinnen und -bürger. Es ging um Heldengedenken, alle Toten galten gleichermaßen als „Opfer des Faschismus“. Die Erinnerung an die massive Beteiligung der einheimischen Bevölkerung an den Morden wird den Litauern und Letten auch heute kaum zugemutet.