Volksbund Logo Desktop Volksbund Logo Mobil

Meldung

Meldung

Letten, dass …?

15 Dinge, die Sie über Lettland, das „Gastland“ des Volkstrauertages, wissen sollten

In diesem Jahr wird der lettische Präsident Egils Levits am Volkstrauertag Ehrengast im Deutschen Bundestag sein. Neben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Volksbund-Präsident Wolfgang Schneiderhan wird der 67-jährige Politiker bei der Zentralen Gedenkstunde sprechen – Lettland ist also gewissermaßen das Gastland des Volkstrauertages. Aber wussten Sie, dass der Erfinder der Jeans aus Lettland kommt? Oder dass Richard Wagner Chefdirigent am Theater Riga war? Hier kommen 15 Dinge, die Sie noch nicht über Lettland und die Letten wussten. Wetten, dass …?
 

1. Verwurzelt

Der Name „Latvija“ stammt von den Letgallen, einem der indo-europäischen baltischen Stämme, die zusammen mit den Kuriern, Selonern und Semigalliern das heutige lettische Volk bildeten. Die am 18. November 1918 gegründete Republik Lettland ist nach den Letten benannt.
 

2. Vernetzt

Lettlands Hauptstadt Riga ist Hansestadt – und das seit dem Jahr 1282. Mit rund 600.000 Einwohnern ist Riga die größte Stadt des Baltikums. Viele Touristen besuchen die gut erhaltene Altstadt.
 

3. Wasserreich

Lettland hat 12.500 Flüsse und mehr als 2.256 Seen. Flächenmäßig ist Lettland kaum kleiner als Bayern, nur ohne Oktoberfest und Alpen. Übrigens tragen in Lettland die Kühe Namen von Flüssen, damit sie mehr Milch geben.
 

4. Hell

Im Hochsommer bringt es Lettland wegen seiner nördlichen Lage auf bis zu 20 Stunden Tageslicht. Das Leben spielt sich überwiegend im Freien ab.
 

5. Europäisch

Der Euro wurde am 1. Januar 2014 als lettische Nationalwährung eingeführt. Die Vorgängerwährung Lats war von 1922 bis zum 17. Juni 1940 sowie von Oktober 1993 bis zum 31. Dezember 2013 im Umlauf.
 

6. Erfindungsreich

Jacob Davis, der in Riga geboren wurde, gilt als Erfinder der genieteten Jeans. Er arbeitete zusammen mit Levi Strauss. In Lettland wurden auch die Kleinkamera Minox entwickelt, der Stickstoffdünger und das fliegende Radarsystem Awacs.
 

7. Lecker

Der Rigaer Zentralmarkt ist der größte Markt der baltischen Staaten. In den mächtigen Pavillons (für den Neubau wurden zwei ehemalige Luftschiff-Hallen angekauft) am Ufer der Daugava drängen sich an guten Tagen bis zu 100.000 Einheimische und Touristen.

Sie kaufen Obst und Gemüse, Fleisch und Käse, aber auch Hanf-Butter, Birkenwasser und Kwass (Sommergetränk aus vergorenem Brot). 1997 wurde das Marktareal gemeinsam mit der Rigaer Altstadt in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen.
 

8. Flach

Der Gaizinakalns (deutsch: Gaising) ist mit 312 Metern die höchste Erhebung Lettlands. Zum Vergleich: Der Fernsehturm Rigas (zugegebenermaßen einer der größten seiner Art) misst 368,5 Meter.
 

9. Reformatorisch

Die Petrikirche (Svētā Pētera baznīca) steht im Zentrum der Altstadt Rigas. Die dreischiffige Basilika im Stil der Backsteingotik war im Mittelalter Pfarrkirche der Stadt und zu Zeiten der Sowjetunion ein Propaganda-Museum. Seit diesem Jahr ist sie wieder im Besitz der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Lettland.
 

10. Tierisch

Bremen ist Rigas Partnerstadt. Die Skulptur der Bremer Stadtmusikanten kam als Geschenk 1990 in die Hauptstadt und steht heute hinter der Petrikirche. Die Lücke, durch die die Tiere schauen, stellt den geöffneten „Eisernen Vorhang“ dar.

Es heißt, dass es Glück bringt, wenn man die Nasen von Esel, Hund, Katze und Hahn berührt – darum glänzen sie so schön golden. Als Gründer der Stadt gilt der Bremer Domherr Albert von Buxhövden, Bischof von Livland und von Riga.
 

11. Erhaben

Lettinnen gelten als die größten Frauen der Welt. Mit einer durchschnittlichen Größe von 169,8 Zentimetern überragen sie die Niederländerinnen um mehr als einen Zentimeter, die Deutschen um gut vier Zentimeter.
 

12. Genial

Eine frühe Station des Komponisten Richard Wagner (1813 bis 1883) war Riga. Mit 24 Jahren kam er im Sommer 1837 aus Königsberg in die zum Russischen Reich gehörende Ostseestadt, um eine Stelle als Chefdirigent am deutschsprachigen Rigaer Stadttheater anzutreten.

Nach zwei Spielzeiten war das Riga-Kapitel beendet: Wagner zog es nach London, angeblich auf der Flucht vor Gläubigern. Die abenteuerliche Überfahrt mit dem Schiff soll ihn zum „Fliegenden Holländer“ inspiriert haben. Das Stadttheater wird derzeit mit Millionenaufwand renoviert und soll 2026 wieder eröffnen.
 

13. Witzig

Der legendäre deutsche Komiker Heinz Erhardt hat lettische Wurzeln. Er entstammte einer deutschbaltischen Familie, die 1760 aus der Pfalz in die Ostseeprovinz übersiedelte. Später gehörte sie zur Oberschicht: Heinz’ Großvater Johann Jakob war während des Ersten Weltkrieges kommissarischer Bürgermeister von Riga, sein Onkel Robert kurzzeitig der zweite Finanzminister der 1918 neu gegründeten Republik Lettland.
 

14. Deutsch

Staatspräsident Egils Levits besuchte bis 1972 die Sekundarschule in Riga und danach – nachdem seine jüdische Familie aus der Sowjetunion ausgewiesen worden war – bis 1973 das lettische Gymnaisium in Münster. Er studierte Jura und Politikwissenschaft an der Universität Hamburg und arbeitete in Kiel und Göttingen.

Viele aus der lettischen Oberschicht (Staatspräsident, Premierminister, Beraterin des Präsidenten) besuchten ebenfalls das lettische Gymnasium in Münster, das 1998 geschlossen wurde.
 

15. Historisch

In diesem Sommer hat der Volksbund seine neue Dauerausstellung auf der Gräber- und Gedenkstätte Bikernieki bei Riga eröffnet. Hier wird an die Opfer des Holocaust erinnert. In den Jahren 1941 bis 1945 waren in den Wäldern nahe der Stadt mehr als 35.000 Menschen von den Nationalsozialisten erschossen, erschlagen und verscharrt worden. Es waren Jüdinnen und Juden aus Lettland, aber auch aus Städten des damaligen „Großdeutschen Reiches“.

An der nationalen Gedenkveranstaltung am 4. Juli 2022 nahmen zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter des Riga-Komitees teil, in dem fast 70 Städte aus Deutschland, Österreich, Tschechien und der Slowakei vertreten sind. Mehr dazu hier: Das Grauen in den Wäldern von Riga-Bikernieki.
 

Zentrale Gedenkstunde live 

Die Zentrale Gedenkstunde zum Volkstrauertag, die traditionell der Volksbund ausrichtet, findet am Sonntag, 13. November, ab 13.30 Uhr im Deutschen Bundestag statt. Das ZDF, Phoenix (in Gebärdensprache) und das Parlamentsfernsehen übertragen live. Mehr Infos und Material zum Volkstrauertag finden Sie im Gedenkportal.
 

Harald John Abteilungsleiter Öffentlichkeitsarbeit

Ein Land voller Massengräber und kaum jemand, der noch einen Kaddisch sagen kann: Auf den Spuren der Shoah in Lettland

Im September 2024 unternahmen Mitarbeitende der Gedenkstätten sowie Mitglieder des Gedenkstättenvereins und MultiplikatorInnen aus dem Osnabrücker Raum und Berlin vom 26. August bis 1. September 2024 eine Reise nach Litauen und Lettland zu Orten der Shoah im Baltikum. Die Reise erfolgte im Rahmen der Ausstellung "Der Tod ist ständig unter uns. Die Deportationen nach Riga und der Holocaust im deutsch besetzten Lettland", die vom 7. April bis 1. September 2024 in der Gedenkstätte Augustaschacht zu sehen war. Die Autorin war eingeladen worden, an dieser Reise teilzunehmen. Sie stellt uns ihren Bericht für diese Veröffentlichung kostenfrei zur Verfügung.

Am 13. Dezember 1941 wurden 35 Osnabrückerinnen und Osnabrücker gezwungen, in einen Zug zu steigen, der sie in mehrtägiger Fahrt nach Riga in Lettland brachte. Sie selber kannten das Ziel nicht. Ihren Besitz mussten sie zurücklassen. Fünfzig Kilo an Gepäck waren alles, was sie mitnehmen durften, und auch wurde ihnen bei der Ankunft weggenommen, als sie mit Eisenstangen aus dem Zug in die eisige Kälte von minus 30 bis 40 Grad geprügelt wurden. Kleine Kinder und alle, die den weiten Weg in das Ghetto nicht schafften, wurden gleich ermordet. „Keiner von uns hat geglaubt, dass so viel Sadismus möglich war“ – dieser Satz stammt von Ewald Aul, einem der fünf Osnabrücker Überlebenden dieser Deportation, später langjähriger Vorsitzender der Jüdischen Nachkriegsgemeinde in Osnabrück.

Diese Reise war nicht leicht, manche Eindrücke nur schwer zu verkraften Es war eine Reise auf den Spuren von Massenmorden, die auch emotional belastete, und dennoch eine Reise mit vielen wertvollen Begegnungen mit Menschen, die sich dafür engagieren, die Menschen, die diesen Morden zum Opfer fielen, der Vergessenheit zu entreißen, wo das noch möglich ist, und ihnen dadurch ihre Würde zurückzugeben. Unter diesen Ermordeten, für die niemand das Kaddisch, das jüdische Totengebet, sprach, sind 30 Osnabrückerinnen und Osnabrücker. Drei davon, die Geschwister Edith, Carl und Ruth-Hanna Stern, waren noch kleine Kinder.

Am 31. Juli 1941 wurde der Leiter des Reichssicherheitshauptamts, Reinhard Heydrich, von Reichswirtschaftsminister Hermann Göring mit der Vorbereitung der Endlösung der Judenfrage beauftragt, der systematischen Ermordung aller europäischen Juden. Im Oktober 1941 ordnete Hitler die Deportation der jüdischen Bürgerinnen und Bürger aus dem Reichsgebiet an. Sie wurden in Transporten von je 1.000 Personen in die Ghettos Lodz in Polen, und Minsk in Belarus, Kaunas und Vilnius in Litauen und das lettische Riga gebracht.

In den Ländern der ehemaligen Sowjetunion wurde der Holocaust über Jahrzehnte verdrängt und tabuisiert. Neue Verbrechen durch das stalinistische Regime überlagerten die Erinnerung an die deutsche Besatzung und die Verfolgung von jüdischen Menschen und anderen Bevölkerungsgruppen. Für die Sowjetunion gab es keine jüdischen Opfer und damit auch keinen Holocaust. Die Ermordeten waren alle Sowjetbürgerinnen und -bürger. Es ging um Heldengedenken, alle Toten galten gleichermaßen als „Opfer des Faschismus“. Die Erinnerung an die massive Beteiligung der einheimischen Bevölkerung an den Morden wird den Litauern und Letten auch heute kaum zugemutet.