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Gedenken in Riga: auf der Gräber- und Gedenkstätte Bikernieki östlich der lettischen Hauptstadt (© Janis Salins)
Vortrag: „Deportationen aus und nach Lettland“
Kooperation von Volksbund, Botschaft der Republik Lettland und Konrad-Adenauer-Stiftung
In der Reihe „Erinnerungskulturen im Gespräch“ fand in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin ein Abend über „Die Deportationen aus und nach Lettland im 20. Jahrhundert und die Erinnerungen daran“ statt.
Filmsequenzen, Impulsvorträge und eine Podiumsdiskussion – die Veranstaltung bot eine vielschichtige Auseinandersetzung mit der doppelten Deportationsgeschichte Lettlands. Neben der Botschafterin der Republik Lettland, Alda Vanaga, und Dirk Backen, dem Generalsekretär des Volksbundes, waren die Filmemacherin Dzintra Geka-Vaska, die Professorin Dr. Nicole Nau sowie die Historiker Dr. Katja Wezel und Detlef Henning anwesend. Die Moderation des Abends übernahm Dr. Heike Dörrenbächer, Leiterin Gedenkkultur und Bildung beim Volksbund.
Unter verschiedenen Regimen
Im Zuge der ersten sowjetischen Besetzung erfolgten massenhafte Verschleppungen lettischer Staatsbürger nach Sibirien. Mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion wurde Lettland von der Wehrmacht besetzt und in den folgenden Jahren ein Schauplatz der Shoa.
Insbesondere deutsche Juden wurden nach Lettland deportiert und fielen hier den nationalsozialistischen Massenverbrechen zum Opfer. Nach der Vertreibung der deutschen Truppen und der erneuten Besetzung durch die Sowjetunion setzten wiederum Deportationen nach Sibirien ein.
Auswirkungen bis in die Gegenwart
Im Fokus des Abends standen Lettland und Deutschland. Unter anderem ging es um folgende Fragen: Welche erinnerungskulturellen Unterschiede oder Gemeinsamkeiten existieren vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen? Wie wirken sie sich politisch und gesellschaftlich im bilateralen Verhältnis sowie im europäischen Kontext aus? Wie wirkt sich die Erfahrung der Deportationsgeschichte auf die heutige lettische Außenpolitik aus? Was bedeutet diese gemeinsame Geschichte heute für Fragen von Krieg und Frieden, Demokratie und Teilhabe sowie für die europäische Verständigung?
Der Volksbund gehört zu den Gründungsmitgliedern des Riga-Komitees und hat im vergangenen Jahr eine Ausstellung auf der Gräber- und Gedenkstätte Bikernieki eröffnet. Mehr dazu lesen Sie hier: Das Grauen in den Wäldern von Riga-Bikernieki.
Erst vor kurzem besuchte Volksbund-Präsident Wolfgang Schneiderhan auf seiner Reise durch das Baltikum mehrere Gedenkorte auch in Riga. Gemeinsam mit Verteidigungsminister Boris Pistorius gedacht er der Opfer des Holocaust in Bikernieki.
im Hauptstadtbüro
Ein Land voller Massengräber und kaum jemand, der noch einen Kaddisch sagen kann: Auf den Spuren der Shoah in Lettland

Im September 2024 unternahmen Mitarbeitende der Gedenkstätten sowie Mitglieder des Gedenkstättenvereins und MultiplikatorInnen aus dem Osnabrücker Raum und Berlin vom 26. August bis 1. September 2024 eine Reise nach Litauen und Lettland zu Orten der Shoah im Baltikum. Die Reise erfolgte im Rahmen der Ausstellung "Der Tod ist ständig unter uns. Die Deportationen nach Riga und der Holocaust im deutsch besetzten Lettland", die vom 7. April bis 1. September 2024 in der Gedenkstätte Augustaschacht zu sehen war. Die Autorin war eingeladen worden, an dieser Reise teilzunehmen. Sie stellt uns ihren Bericht für diese Veröffentlichung kostenfrei zur Verfügung.
Am 13. Dezember 1941 wurden 35 Osnabrückerinnen und Osnabrücker gezwungen, in einen Zug zu steigen, der sie in mehrtägiger Fahrt nach Riga in Lettland brachte. Sie selber kannten das Ziel nicht. Ihren Besitz mussten sie zurücklassen. Fünfzig Kilo an Gepäck waren alles, was sie mitnehmen durften, und auch wurde ihnen bei der Ankunft weggenommen, als sie mit Eisenstangen aus dem Zug in die eisige Kälte von minus 30 bis 40 Grad geprügelt wurden. Kleine Kinder und alle, die den weiten Weg in das Ghetto nicht schafften, wurden gleich ermordet. „Keiner von uns hat geglaubt, dass so viel Sadismus möglich war“ – dieser Satz stammt von Ewald Aul, einem der fünf Osnabrücker Überlebenden dieser Deportation, später langjähriger Vorsitzender der Jüdischen Nachkriegsgemeinde in Osnabrück.
Diese Reise war nicht leicht, manche Eindrücke nur schwer zu verkraften Es war eine Reise auf den Spuren von Massenmorden, die auch emotional belastete, und dennoch eine Reise mit vielen wertvollen Begegnungen mit Menschen, die sich dafür engagieren, die Menschen, die diesen Morden zum Opfer fielen, der Vergessenheit zu entreißen, wo das noch möglich ist, und ihnen dadurch ihre Würde zurückzugeben. Unter diesen Ermordeten, für die niemand das Kaddisch, das jüdische Totengebet, sprach, sind 30 Osnabrückerinnen und Osnabrücker. Drei davon, die Geschwister Edith, Carl und Ruth-Hanna Stern, waren noch kleine Kinder.
Am 31. Juli 1941 wurde der Leiter des Reichssicherheitshauptamts, Reinhard Heydrich, von Reichswirtschaftsminister Hermann Göring mit der Vorbereitung der Endlösung der Judenfrage beauftragt, der systematischen Ermordung aller europäischen Juden. Im Oktober 1941 ordnete Hitler die Deportation der jüdischen Bürgerinnen und Bürger aus dem Reichsgebiet an. Sie wurden in Transporten von je 1.000 Personen in die Ghettos Lodz in Polen, und Minsk in Belarus, Kaunas und Vilnius in Litauen und das lettische Riga gebracht.
In den Ländern der ehemaligen Sowjetunion wurde der Holocaust über Jahrzehnte verdrängt und tabuisiert. Neue Verbrechen durch das stalinistische Regime überlagerten die Erinnerung an die deutsche Besatzung und die Verfolgung von jüdischen Menschen und anderen Bevölkerungsgruppen. Für die Sowjetunion gab es keine jüdischen Opfer und damit auch keinen Holocaust. Die Ermordeten waren alle Sowjetbürgerinnen und -bürger. Es ging um Heldengedenken, alle Toten galten gleichermaßen als „Opfer des Faschismus“. Die Erinnerung an die massive Beteiligung der einheimischen Bevölkerung an den Morden wird den Litauern und Letten auch heute kaum zugemutet.