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In vielen Städten des Riga-Komitees entstanden Mahnmale wie hier am Würzburger Hauptbahnhof. (© Stadt Würzburg / Ugur Yurdagül)
80 Städte halten Erinnerung an Deportationen nach Riga wach
Deutsches Riga-Komitee vor 25 Jahren gegründet – einzigartiges europäisches Städtebündnis
Mit Ausstellungseröffnung und Festakt blickt das Riga-Komitee am Dienstag, 20. Mai, im Düsseldorfer Landtag auf seine Gründung vor 25 Jahren zurück. Vertreter aus 13 Städten hatten sich zusammengeschlossen, um an die über 25.000 jüdischen Bürgerinnen und Bürger zu erinnern, die 1941/42 nach Riga deportiert und in überwiegender Zahl dort ermordet worden waren. Drei Fragen an Stefan Dworak, Mitinitiator und stellvertretender Generalsekretär des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V., der maßgeblich beteiligten Organisation.
Heute vereint das Riga-Komitee mehr als 80 Städte. Haben Sie beim Start vor 25 Jahren mit dieser Dimension gerechnet oder langfristig auf sie gehofft?
Nein, als das Riga-Komitee gegründet wurde, war diese beeindruckende Entwicklung nicht absehbar! Damals hatte der Volksbund das Komitee initiiert, um möglichst mit Unterstützung der ehemaligen Heimatstädte der ermordeten Jüdinnen und Juden die Gräberanlage in Riga wiederherstellen und die Gedenk- und Gräberstätte Bikernieki anlegen zu können.
Weil damals die Identität und Herkunft der meisten im Bikernieki-Wald ermordeten Menschen noch unbekannt war, hatte der Volksbund zunächst nur die Städte angesprochen, aus denen die Deportationszüge Richtung Riga gestartet waren. Diese Städte waren dann schließlich die 13 Gründungsmitglieder des Komitees.

Die Gründung und die Einweihung der wiederhergerichteten Gräberstätte im Jahr 2001 waren eine wahre Initialzündung für alles Weitere. Allen Beteiligten wurde klar, dass man der Ermordeten nur würdig gedenken kann, wenn man ihnen ihre Namen und somit ihre Würde wiedergibt.
So entstand die Idee für das nächste große Vorhaben: Im Rahmen eines Forschungsprojekts sollten die Abläufe der insgesamt 32 Deportationen und die Identitäten der Opfer mit Unterstützung lokaler Archive und regionaler Forscher recherchiert werden.
Unter Leitung der renommierten Historiker Prof. Wolfgang Scheffler, der inzwischen verstorben ist, und Dr. Diane Schulle wurden die Verbrechen ortsbezogen aufgearbeitet und detaillierte Opferlisten erstellt. Die Ergebnisse wurden 2003 in dem zweibändigen und -sprachigen „Buch der Erinnerung“ veröffentlicht. Die nationale wie auch internationale Resonanz war überwältigend.
Hat sich die Bedeutung des Riga-Komitees im Lauf der Zeit geändert?
Vor allem aufgrund der Forschungen haben viele Städte und kleinere Orte nachvollziehen können, dass auch aus ihrer Mitte jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger nach Riga deportiert worden waren. Heute können die Städte und Orte an einzelne Personen erinnern – das Gedenken an die Opfer des Holocaust ist damit weniger abstrakt und hat einen konkreten lokalen Bezug.
Insofern hat das Riga-Komitee viele weitere lokale Erinnerungsprojekte angestoßen und zugleich ein länder- und kulturübergreifendes Gedenken möglich gemacht, das dazu beiträgt, aus der Geschichte zu lernen.
Was ist heute sein größter Wert aus Ihrer Sicht?
Das Riga-Komitee ist kein zeitlich oder lokal begrenztes Projekt. Es ist vielmehr auch 25 Jahre nach seiner Gründung immer noch ein Zusammenschluss von engagierten Städten und Kommunen, die regelmäßig ihrer im Nationalsozialismus in Riga ermordeten jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger gedenken.
Viele Mitgliedsstädte gestalten diese Erinnerung vielfältig und vor allem lebendig. Regelmäßig besuchen Delegationen des Komitees wie auch Jugendgruppen die Gräber- und Gedenkstätten in Riga.
Insofern sind Riga-Bikernieki und das Riga-Komitee für mich nicht nur Meilensteine der Erinnerungs- und Gedenkkultur, sondern auch wunderbare Projekte, die viele Menschen verschiedener Nationen, Kulturen und Religionen auf einzigartige Weise zusammenbringen und zum Austausch einladen.
Herr Dworak, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Mehr lesen Sie hier:
Pressemitteilung: 25 Jahre Riga-Komitee: deportiert, ermordet, unvergessen
Entwicklung: Riga-Komitee: 80 Städte erinnern an Deportation und Ermordung
Die Entstehungsgeschichte hat der damalige Volksbund-Präsident Karl-Wilhelm Lange in einer Broschüre zum Riga-Komitee nachvollzogen (ab Seite 6).
Der Volksbund ist …
… ist ein gemeinnütziger Verein, der im Auftrag der Bundesregierung Kriegstote im Ausland sucht, birgt und würdig bestattet. Mehr als 10.000 waren es im vergangenen Jahr. Der Volksbund pflegt ihre Gräber in 45 Ländern und betreut Angehörige. Mit seinen Jugend- und Bildungsangeboten erreicht er jährlich rund 38.000 junge Menschen. Bundes- und europaweit ist er ein wichtiger Akteur der Gedenkkultur. Für seine Arbeit ist er dringend auf Mitgliedsbeiträge und Spenden angewiesen.

Ein Land voller Massengräber und kaum jemand, der noch einen Kaddisch sagen kann: Auf den Spuren der Shoah in Lettland

Im September 2024 unternahmen Mitarbeitende der Gedenkstätten sowie Mitglieder des Gedenkstättenvereins und MultiplikatorInnen aus dem Osnabrücker Raum und Berlin vom 26. August bis 1. September 2024 eine Reise nach Litauen und Lettland zu Orten der Shoah im Baltikum. Die Reise erfolgte im Rahmen der Ausstellung "Der Tod ist ständig unter uns. Die Deportationen nach Riga und der Holocaust im deutsch besetzten Lettland", die vom 7. April bis 1. September 2024 in der Gedenkstätte Augustaschacht zu sehen war. Die Autorin war eingeladen worden, an dieser Reise teilzunehmen. Sie stellt uns ihren Bericht für diese Veröffentlichung kostenfrei zur Verfügung.
Am 13. Dezember 1941 wurden 35 Osnabrückerinnen und Osnabrücker gezwungen, in einen Zug zu steigen, der sie in mehrtägiger Fahrt nach Riga in Lettland brachte. Sie selber kannten das Ziel nicht. Ihren Besitz mussten sie zurücklassen. Fünfzig Kilo an Gepäck waren alles, was sie mitnehmen durften, und auch wurde ihnen bei der Ankunft weggenommen, als sie mit Eisenstangen aus dem Zug in die eisige Kälte von minus 30 bis 40 Grad geprügelt wurden. Kleine Kinder und alle, die den weiten Weg in das Ghetto nicht schafften, wurden gleich ermordet. „Keiner von uns hat geglaubt, dass so viel Sadismus möglich war“ – dieser Satz stammt von Ewald Aul, einem der fünf Osnabrücker Überlebenden dieser Deportation, später langjähriger Vorsitzender der Jüdischen Nachkriegsgemeinde in Osnabrück.
Diese Reise war nicht leicht, manche Eindrücke nur schwer zu verkraften Es war eine Reise auf den Spuren von Massenmorden, die auch emotional belastete, und dennoch eine Reise mit vielen wertvollen Begegnungen mit Menschen, die sich dafür engagieren, die Menschen, die diesen Morden zum Opfer fielen, der Vergessenheit zu entreißen, wo das noch möglich ist, und ihnen dadurch ihre Würde zurückzugeben. Unter diesen Ermordeten, für die niemand das Kaddisch, das jüdische Totengebet, sprach, sind 30 Osnabrückerinnen und Osnabrücker. Drei davon, die Geschwister Edith, Carl und Ruth-Hanna Stern, waren noch kleine Kinder.
Am 31. Juli 1941 wurde der Leiter des Reichssicherheitshauptamts, Reinhard Heydrich, von Reichswirtschaftsminister Hermann Göring mit der Vorbereitung der Endlösung der Judenfrage beauftragt, der systematischen Ermordung aller europäischen Juden. Im Oktober 1941 ordnete Hitler die Deportation der jüdischen Bürgerinnen und Bürger aus dem Reichsgebiet an. Sie wurden in Transporten von je 1.000 Personen in die Ghettos Lodz in Polen, und Minsk in Belarus, Kaunas und Vilnius in Litauen und das lettische Riga gebracht.
In den Ländern der ehemaligen Sowjetunion wurde der Holocaust über Jahrzehnte verdrängt und tabuisiert. Neue Verbrechen durch das stalinistische Regime überlagerten die Erinnerung an die deutsche Besatzung und die Verfolgung von jüdischen Menschen und anderen Bevölkerungsgruppen. Für die Sowjetunion gab es keine jüdischen Opfer und damit auch keinen Holocaust. Die Ermordeten waren alle Sowjetbürgerinnen und -bürger. Es ging um Heldengedenken, alle Toten galten gleichermaßen als „Opfer des Faschismus“. Die Erinnerung an die massive Beteiligung der einheimischen Bevölkerung an den Morden wird den Litauern und Letten auch heute kaum zugemutet.