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Von links nach rechts: Kreisdirektor Dr. Ansgar Hörster (Kreis Borken), Paul Glaser (Initiator der Ausstellung „Die Tänzerin von Auschwitz“), Jens Effkemann (Regionalgeschäftsführer des Volksbundes) und Bürgermeister Tom Tenostendarp (Stadt Vreden) bei der Ausstellungseröffnung. (© kult Westmünsterland)
Zwei Sonderausstellungen zum Holocaust-Gedenken im "kult Westmünsterland" Vreden
"Riga. Deportationen - Tatorte - Erinnerungskultur" und "Die Tänzerin von Auschwitz"
Vreden. „Es gibt keinen Landkreis deutschlandweit, in dem sich mehr Mitgliedsstädte dem vom Volksbund initiierten Riga-Komitee angeschlossen haben.“ mit diesem Satz verdeutlichte Jens Effkemann, Regionalgeschäftsführer des Volksbundes, die Relevanz des Städtebündnisses für den Kreis Borken in seinem Grußwort zu einer ganz besonderen (doppelten) Ausstellungseröffnung. Um mehr über beide Ausstellungen in deren Kontext zu erfahren, lesen Sie die folgende Pressemitteilung des kult Westmünsterland.
„Anlässlich des 80. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges zeigt das kult Westmünsterland in Vreden (Kirchplatz 14) jetzt zwei Sonderausstellungen, die sich mit der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft, insbesondere mit der Judenverfolgung, befassen: „Riga. Deportationen - Tatorte - Erinnerungskultur“ (bis zum 22.06.2025) und „Die Tänzerin von Auschwitz“ (bis zum 11.09.2025). Bei der Eröffnung dieser beiden Ausstellungen war mit Paul Glaser ein ganz besonderer Referent zu Gast. Er ist Autor des Buches „Die Tänzerin von Auschwitz“ und zugleich Neffe der Protagonistin Roosje Glaser, die den Holocaust überlebte. Deren Schicksal nahm er in seinem Vortrag „Die Entdeckung meines Familiengeheimnisses“ in den Blick. Die Historikerin Ingeborg Höting führte mit ihrem Vortrag „Von Ahaus, Stadtlohn, Vreden 1941 deportiert nach Riga: Namen, Gesichter, Schicksale“ am 15. Mai in das Thema der zweiten Sonderausstellung ein. „Am ,Internationalen Museumstag' am 18. Mai 2025 hatten wir dazu rund 100 Interessierte im Museum“, freute sich kult-Leiterin Silke Röhling über die große Resonanz.
Die Wanderausstellung des Riga-Komitees „Riga. Deportationen - Tatorte - Erinnerungskultur“ thematisiert die Deportationen von rund 25.000 überwiegend jüdischen Frauen, Männern und Kindern zwischen 1941 und 1942 in das von den Nationalsozialisten besetzte Riga. Nur etwa vier Prozent der dorthin Verschleppten überlebten, die anderen wurden im Wald von Bikernieki und Rumbula ermordet oder starben entweder im Ghetto oder in später eingerichteten Lagern. Für Jüdinnen und Juden aus der hiesigen Region wurde Riga zum „westfälischen Auschwitz“: Ein Großteil der aus Westfalen deportierten jüdischen Menschen fand dort den Tod. Im Jahr 1938 waren rund 530 Mitglieder bei jüdischen Gemeinden in den Altkreisen Ahaus und Borken gemeldet, die dann ab Dezember 1941 in mehreren Transporten „Richtung Osten gingen“. Mindestens zwei davon fuhren nach Riga. Einblicke in die konkreten Schicksale deportierter Menschen aus dem Westmünsterland erhalten die Besucherinnen und Besucher dank der Ergänzung der Wanderausstellung des Riga Komitees durch lokale Forschungsergebnisse.
Die Ausstellung „Die Tänzerin von Auschwitz“ zeichnet die Geschichte der niederländischen Jüdin Roosje Glaser anhand ihrer eigenen Tagebuch-Notizen und vieler Familienfotos nach: Roosje war eine lebenslustige Frau Anfang 20, als das NS-Regime die Macht übernahm. Sie betrieb als bekannte Tanzlehrerin ihre eigene Tanzschule, die sie auch nach der deutschen Besetzung der Niederlande heimlich auf dem Dachboden der Eltern fortführte. Ihr Ex-Mann verriet sie dann allerdings an die Nationalsozialisten und es begann ein Leidensweg durch sieben Konzentrationslager. In Auschwitz schrieb sie Lieder und Gedichte und trat bei abendlichen Treffen der SS als Tänzerin auf. Roosje Glaser überlebte so den Holocaust. Sie starb im Jahr 2000 im Alter von 86 Jahren in Stockholm. Ihr Neffe Paul Glaser kam erst Ende der 1980er-Jahre durch Zufall dem Geheimnis seiner jüdischen Wurzel auf die Spur. Er traf sich mit seiner Tante in Schweden und deckte dabei immer mehr Details seiner Familiengeschichte auf. Nach ihrem Tod veröffentlichte er die Geschichte unter dem Titel „Die Tänzerin von Auschwitz“. […]“
Die Ausstellung "Riga. Deportationen - Tatorte - Erinnerungskultur" geht bis zum 22. Juni 2025; die Ausstellung "Die Tänzerin von Auschwitz" bis zum 11. September 2025.
Fotos und Text: kult Westmünsterland
Ein Land voller Massengräber und kaum jemand, der noch einen Kaddisch sagen kann: Auf den Spuren der Shoah in Lettland

Im September 2024 unternahmen Mitarbeitende der Gedenkstätten sowie Mitglieder des Gedenkstättenvereins und MultiplikatorInnen aus dem Osnabrücker Raum und Berlin vom 26. August bis 1. September 2024 eine Reise nach Litauen und Lettland zu Orten der Shoah im Baltikum. Die Reise erfolgte im Rahmen der Ausstellung "Der Tod ist ständig unter uns. Die Deportationen nach Riga und der Holocaust im deutsch besetzten Lettland", die vom 7. April bis 1. September 2024 in der Gedenkstätte Augustaschacht zu sehen war. Die Autorin war eingeladen worden, an dieser Reise teilzunehmen. Sie stellt uns ihren Bericht für diese Veröffentlichung kostenfrei zur Verfügung.
Am 13. Dezember 1941 wurden 35 Osnabrückerinnen und Osnabrücker gezwungen, in einen Zug zu steigen, der sie in mehrtägiger Fahrt nach Riga in Lettland brachte. Sie selber kannten das Ziel nicht. Ihren Besitz mussten sie zurücklassen. Fünfzig Kilo an Gepäck waren alles, was sie mitnehmen durften, und auch wurde ihnen bei der Ankunft weggenommen, als sie mit Eisenstangen aus dem Zug in die eisige Kälte von minus 30 bis 40 Grad geprügelt wurden. Kleine Kinder und alle, die den weiten Weg in das Ghetto nicht schafften, wurden gleich ermordet. „Keiner von uns hat geglaubt, dass so viel Sadismus möglich war“ – dieser Satz stammt von Ewald Aul, einem der fünf Osnabrücker Überlebenden dieser Deportation, später langjähriger Vorsitzender der Jüdischen Nachkriegsgemeinde in Osnabrück.
Diese Reise war nicht leicht, manche Eindrücke nur schwer zu verkraften Es war eine Reise auf den Spuren von Massenmorden, die auch emotional belastete, und dennoch eine Reise mit vielen wertvollen Begegnungen mit Menschen, die sich dafür engagieren, die Menschen, die diesen Morden zum Opfer fielen, der Vergessenheit zu entreißen, wo das noch möglich ist, und ihnen dadurch ihre Würde zurückzugeben. Unter diesen Ermordeten, für die niemand das Kaddisch, das jüdische Totengebet, sprach, sind 30 Osnabrückerinnen und Osnabrücker. Drei davon, die Geschwister Edith, Carl und Ruth-Hanna Stern, waren noch kleine Kinder.
Am 31. Juli 1941 wurde der Leiter des Reichssicherheitshauptamts, Reinhard Heydrich, von Reichswirtschaftsminister Hermann Göring mit der Vorbereitung der Endlösung der Judenfrage beauftragt, der systematischen Ermordung aller europäischen Juden. Im Oktober 1941 ordnete Hitler die Deportation der jüdischen Bürgerinnen und Bürger aus dem Reichsgebiet an. Sie wurden in Transporten von je 1.000 Personen in die Ghettos Lodz in Polen, und Minsk in Belarus, Kaunas und Vilnius in Litauen und das lettische Riga gebracht.
In den Ländern der ehemaligen Sowjetunion wurde der Holocaust über Jahrzehnte verdrängt und tabuisiert. Neue Verbrechen durch das stalinistische Regime überlagerten die Erinnerung an die deutsche Besatzung und die Verfolgung von jüdischen Menschen und anderen Bevölkerungsgruppen. Für die Sowjetunion gab es keine jüdischen Opfer und damit auch keinen Holocaust. Die Ermordeten waren alle Sowjetbürgerinnen und -bürger. Es ging um Heldengedenken, alle Toten galten gleichermaßen als „Opfer des Faschismus“. Die Erinnerung an die massive Beteiligung der einheimischen Bevölkerung an den Morden wird den Litauern und Letten auch heute kaum zugemutet.