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„Und sie waren unsere Nachbarn“ - „Zwei Tage im Winter“

Zwei unterschiedliche Wanderausstellungen über das Schicksal von lettischen und deutschen Juden in Riga

Bocholt. Die größte Stadt im Kreis Borken ist bereits 2001 dem vom Volksbund mitinitiierten Riga-Komitee beigetreten. Zusammen mit Kiel, Lübeck und Wien zählt sie zu den ersten vier Städten, die sich nach der Gründung des Bündnisses durch 13 deutsche Großstädte im Jahr 2000, dem Zusammenschluss angeschlossen haben. Seitdem haben verschiedene Projekte zu dem Thema stattgefunden. Aktuell zeigt die Stadt eine besondere Ausstellung und hat u.a. den Volksbund dafür als Kooperationspartner gewinnen können (siehe Ausstellungsplakat). Lesen Sie dazu den folgenden Text.

„Am Dienstag, 10. Dezember 2024 wurde im Appendix des LernWerks in Bocholt die Ausstellung ‘Und sie waren unsere Nachbarn’ eröffnet. Diese beleuchtet die Deportation und das Schicksal jüdischer Bürgerinnen und Bürger aus Bocholt, die 1941 ins Rigaer Ghetto verschleppt wurden. Ein besonderer Fokus liegt auf den Ereignissen im Ghetto Riga, wo Tausende lettische Jüdinnen und Juden Opfer eines Massenmords wurden.

Die Eröffnung, die zugleich den Start der Ausstellung ‘Zwei Tage im Winter’ des Bremer Künstler-Ehepaars Dagmar Calais und Chris Steinbrecher markierte, wurde von geladenen Gästen aus Kultur und Politik besucht. Unter den Gästen war auch der Regierungspräsident und Bezirksvorsitzende des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., Andreas Bothe. Nach der Begrüßung durch Bocholts stellvertretende Bürgermeisterin Kerstin Erkens betonte Bothe in seiner Rede die Bedeutung der Erinnerungskultur und verwies auf aktuelle Umfragen zum wachsenden Antisemitismus in Deutschland.

‘Ich wünsche der Ausstellung viele Besucherinnen und Besucher, vor allem auch junge Menschen, die vielleicht den Weg hierher finden und auf diese Weise einen Zugang zu dem Thema finden’, so Bothe. Das sei in der heutigen Zeit umso wichtiger, auch vor dem Hintergrund aktueller antisemitischer Tendenzen und aufgrund der Tatsache, dass es immer weniger Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gebe.

Die Ausstellung wird durch den ‘Heimat-Fonds’ des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen sowie die Volksbank Bocholt eG gefördert. Die Stadt Bocholt realisiert die Ausstellung in Zusammenarbeit mit der Bocholter Kunst- und Kulturgemeinschaft e.V., dem Stadttheater Bocholt e.V., dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. und mit Europe Direct in Bocholt. Der Eintritt zu der Ausstellung, die noch bis zum 27. Januar 2025 andauert, und die Teilnahme an Führungen sind kostenfrei.“

Fotos: Jens Effkemann; Text: Stadt Bocholt

Plakat zur Ausstellung

Auf dem Instagram-Kanal der Stadt (siehe Link unten) finden Sie weitere Fotos und Video- sowie Audioaufnahmen zur Ausstellungseröffnung.

https://www.instagram.com/stadt.bocholt/reel/DDcMLTKKJOo/

Etwa zeitgleich zur Ausstellungseröffnung in Bocholt wurde die offizielle Wanderausstellung des Deutschen Riga-Komitees in der Stadt Gescher (ebenfalls im Kreis Borken liegend) wieder abgebaut. Ausgehend von einer Gedenkveranstaltung zum 9. November (Erinnerung an die Reichspogromnacht) hatte sie dort einen Monat im Foyer der Stadtverwaltung gestanden (siehe Foto im Anhang) und wurde dabei von etlichen Bürgerinnen und Bürgern wahrgenommen, die z.B. zum nahegelegenen Bürgerbüro mussten. Zudem besuchten einige Schülerinnen und Schüler der örtlichen Gesamtschule die Ausstellung.
 

Ein Land voller Massengräber und kaum jemand, der noch einen Kaddisch sagen kann: Auf den Spuren der Shoah in Lettland

Im September 2024 unternahmen Mitarbeitende der Gedenkstätten sowie Mitglieder des Gedenkstättenvereins und MultiplikatorInnen aus dem Osnabrücker Raum und Berlin vom 26. August bis 1. September 2024 eine Reise nach Litauen und Lettland zu Orten der Shoah im Baltikum. Die Reise erfolgte im Rahmen der Ausstellung "Der Tod ist ständig unter uns. Die Deportationen nach Riga und der Holocaust im deutsch besetzten Lettland", die vom 7. April bis 1. September 2024 in der Gedenkstätte Augustaschacht zu sehen war. Die Autorin war eingeladen worden, an dieser Reise teilzunehmen. Sie stellt uns ihren Bericht für diese Veröffentlichung kostenfrei zur Verfügung.

Am 13. Dezember 1941 wurden 35 Osnabrückerinnen und Osnabrücker gezwungen, in einen Zug zu steigen, der sie in mehrtägiger Fahrt nach Riga in Lettland brachte. Sie selber kannten das Ziel nicht. Ihren Besitz mussten sie zurücklassen. Fünfzig Kilo an Gepäck waren alles, was sie mitnehmen durften, und auch wurde ihnen bei der Ankunft weggenommen, als sie mit Eisenstangen aus dem Zug in die eisige Kälte von minus 30 bis 40 Grad geprügelt wurden. Kleine Kinder und alle, die den weiten Weg in das Ghetto nicht schafften, wurden gleich ermordet. „Keiner von uns hat geglaubt, dass so viel Sadismus möglich war“ – dieser Satz stammt von Ewald Aul, einem der fünf Osnabrücker Überlebenden dieser Deportation, später langjähriger Vorsitzender der Jüdischen Nachkriegsgemeinde in Osnabrück.

Diese Reise war nicht leicht, manche Eindrücke nur schwer zu verkraften Es war eine Reise auf den Spuren von Massenmorden, die auch emotional belastete, und dennoch eine Reise mit vielen wertvollen Begegnungen mit Menschen, die sich dafür engagieren, die Menschen, die diesen Morden zum Opfer fielen, der Vergessenheit zu entreißen, wo das noch möglich ist, und ihnen dadurch ihre Würde zurückzugeben. Unter diesen Ermordeten, für die niemand das Kaddisch, das jüdische Totengebet, sprach, sind 30 Osnabrückerinnen und Osnabrücker. Drei davon, die Geschwister Edith, Carl und Ruth-Hanna Stern, waren noch kleine Kinder.

Am 31. Juli 1941 wurde der Leiter des Reichssicherheitshauptamts, Reinhard Heydrich, von Reichswirtschaftsminister Hermann Göring mit der Vorbereitung der Endlösung der Judenfrage beauftragt, der systematischen Ermordung aller europäischen Juden. Im Oktober 1941 ordnete Hitler die Deportation der jüdischen Bürgerinnen und Bürger aus dem Reichsgebiet an. Sie wurden in Transporten von je 1.000 Personen in die Ghettos Lodz in Polen, und Minsk in Belarus, Kaunas und Vilnius in Litauen und das lettische Riga gebracht.

In den Ländern der ehemaligen Sowjetunion wurde der Holocaust über Jahrzehnte verdrängt und tabuisiert. Neue Verbrechen durch das stalinistische Regime überlagerten die Erinnerung an die deutsche Besatzung und die Verfolgung von jüdischen Menschen und anderen Bevölkerungsgruppen. Für die Sowjetunion gab es keine jüdischen Opfer und damit auch keinen Holocaust. Die Ermordeten waren alle Sowjetbürgerinnen und -bürger. Es ging um Heldengedenken, alle Toten galten gleichermaßen als „Opfer des Faschismus“. Die Erinnerung an die massive Beteiligung der einheimischen Bevölkerung an den Morden wird den Litauern und Letten auch heute kaum zugemutet.